Condition Monitoring beim Retrofit einer Schmiedepresse

Individuelle Zustandsüberwachung

Um eine solche Schmiedepresse (Symbolbild) fit für die Zukunft zu machen, hat Wölfel Engineering sie mit einer individuellen Zustandsüberwachung ausgerüstet. – Bild: ©isaac74/stock.adobe.com

Die Firma Wölfel Engineering fokussiert sich seit über 50 Jahren auf die Kompetenzfelder Schwingungen, Strukturmechanik und Akustik. „Unser Leistungsangebot reicht vom Gutachten eines beratenden Ingenieurs bis hin zur Lieferung schlüsselfertiger Systeme zur Lösung von Schwingungsproblemen“, erläutert Dr. Marcus Ries, Leiter Schwingungsmessung und -minderung. Als Paradebeispiel für die Umsetzung eines PC-basierten Condition Monitoring nennt er die individuell ausgelegte Zustandsüberwachung einer rund 150t schweren Schmiedepresse, die bereits 1989 in Betrieb ging und anschließend mehrfach modernisiert wurde.

Condition Monitoring sichert den Anlagenbetrieb

In den ersten 15 Betriebsjahren der Presse kam es zu einem deutlich erhöhten Schwingungsniveau, wodurch Schäden sowohl an der Maschine als auch am Fundament entstanden. Bei einer Fundamentsanierung im Jahr 2004 wurde daher die Aufstellung und Ankopplung der Presse an ihr Fundament grundlegend überarbeitet. Die erhöhte Schwingungsneigung konnte auf diese Weise zwar zunächst reduziert werden, die dynamischen Aufstellkräfte führten aber auch weiterhin zu Problemen in der Ankopplung und zum Abreißen von Dehnschrauben. Infolgedessen kam es 2018 erneut zu erhöhten Schwingungen, die einen Produktionsausfall befürchten ließen. Um den zuverlässigen Weiterbetrieb der Presse bis zur im gleichen Jahr geplanten Instandsetzung sicherstellen zu können, wurde die Aufstellung behelfsmäßig überarbeitet und die Wirkung dieser Maßnahme mit einem temporären auf einem Standardmesssystem basierenden Condition-Monitoring-System (CMS) überwacht.

„Aufgabe dieses CMS war, ein Versagen der Behelfsmaßnahmen anhand einer erneuten Erhöhung des Schwingungsniveaus in Verbindung mit einem weiteren Eigenfrequenzabfall frühzeitig zu erkennen und somit direkt geeignete Gegenmaßnahmen wie das Nachziehen bzw. den Austausch von gebrochenen Verbindungen umzusetzen“, erklärt Ries. „Das verhinderte, dass der Betongrundkörper infolge mangelnder Vorspannung weiter geschädigt wurde, und die Maschine konnte mehrere Monate rund um die Uhr bis zur geplanten Instandsetzung weiter betrieben werden. Mit den in dieser Zeit vorproduzierten Teilen baute der Kunde einen Puffer für die anstehende Stillstandszeit während der Instandsetzung auf.“

Der Embedded-PC CX5140 erfasst alle für das Condition Monitoring erforderlichen Daten. – Bild: Beckhoff Automation GmbH & Co. KG

Nach der anschließenden Instandsetzung von Presse und Fundament wurde, basierend auf Erkenntnissen des dynamischen Schwingungsverhaltens sowie auf Ergebnissen des temporären CMS, ein individuell auf das Schwingungsproblem zugeschnittenes permanentes CMS aufgebaut. „Der Anwender wurde im Umgang mit dem System individuell vor Ort geschult und bei der Definition der Alarmgrenzen unterstützt“, blickt Ries zurück. „Durch eine spezifische Sensorauswahl ist er mit dem auf Steuerungstechnik von Beckhoff basierenden CMS nun in der Lage, eine Veränderung in der Kraftvorspannung und im Schwingungsverhalten früher zu detektieren sowie diese Informationen automatisiert und integriert an die Anlagenüberwachung weiterzuleiten.“

Die Ethercat-BoxModule EP3752-0000 mit je zwei integrierten Dreiachs-Beschleunigungssensoren liefern zudem die Rohdaten für Eigenfrequenzberechnungen der Gesamtanlage als Frühindikator. – Bild: Beckhoff Automation GmbH & Co. KG

CMS mit dezentralem Systemkonzept

Voraussetzung bei der Realisierung einer vorausschauenden Wartung war, dass das permanente CMS als Nachrüstlösung ohne konstruktive Änderungen an der Presse umgesetzt und die überwachten Größen via Modbus in die bestehende Pressenüberwachung eingespeist werden konnten. Unterstützt hat dabei die Systemoffenheit der Beckhoff-Steuerungstechnik hinsichtlich der Schnittstellen und Kommunikationssysteme. Sie ermöglicht es dem Endanwender, auf einfache Weise selbst erste eigene Zustandsbewertungen zu erhalten.

Hinzu kommt, dass die dezentrale Sensoranbindung mit Datenweiterleitung per Ethercat die Kabelwege reduziert. Zumal Wölfel Engineering auf industrielle Standardkomponenten zurückgreifen kann, was sich in hoher Zuverlässigkeit und dem ausfallfreien Betrieb seit 2019 widerspiegelt. Hierzu zählen auch die Ethercat-Box-Module für die Datenerfassung, die direkt an der Anlage installiert eine Vor-Ort-Digitalisierung ermöglichen und auf diese Weise lange analoge Signalstrecken vermeiden.

PC-based Control 
von Beckhoff 
vereinfacht durch die 
Integration von Maschinensteuerung und Messtechnik 
deutlich die produktbezogene Festlegung 
von Grenzwerten im CMS.Dr. Marcus Ries, 
Wölfel Engineering Dr. Marcus Ries, Wölfel Engineering: "PC-based
PC-based Control von Beckhoff vereinfacht durch die Integration von Maschinensteuerung und Messtechnik deutlich die produktbezogene Festlegung von Grenzwerten im CMS.Dr. Marcus Ries, Wölfel Engineering Dr. Marcus Ries, Wölfel Engineering: „PC-based Bild: Wölfel Engineering

Durch die geeignete Sensorauswahl und deren unmittelbare Platzierung an den kritischen, kraftübertragenden Bauteilen ermöglicht das neue CMS den direkten Einblick in den Zustand von Pressenaufstellung und Fundament. Hierbei werden etwa über Analog-Eingangsklemmen vom Typ EL3114 die Daten von Wegsensoren erfasst. Darüber lässt sich zum einen die Vorspannung (Zuganker) messen, um einen Bolzenriss als sogenannten Primärschaden zu erkennen. Zum anderen kann über eine Verschiebung am Tellerfederpaket auf eine Rissentstehung, also einen Fundament-Sekundärschaden geschlossen werden. Die Ethercat-Box-Module EP3752-0000 mit je zwei integrierten Dreiachs-Beschleunigungssensoren liefern zudem die Rohdaten für Eigenfrequenzberechnungen der Gesamtanlage als Frühindikator z.B. für die Fundamenterneuerung. Außerdem detektieren sie ein eventuelles Kippen der Kopfplatte. Als Infrastrukturkomponenten kommen zum Einsatz: ein Zwei-Port-Ethercat-Abzweig EK1122 für die Verbindung zum ACC-Pressenkopf und ein Ethercat-Koppler vom Typ EK1100-0008 (M8) zur Anbindung eines weiteren Schaltschranks.

„Durch den Ansatz mit PC-basierter Steuerungstechnik und verteilter Sensorik vereinfacht sich die Überwachung und Datenverarbeitung auf das Festlegen von Alarmgrenzen“, betont Ries. „Der Einfluss von sonstigen Störgrößen ist vorhanden, aber stark reduziert. Zudem wäre eine aufwändige Datenverarbeitung über Modelle, weitergehende Feature Extraction und bis zu Machine Learning bei Bedarf umsetzbar gewesen. Das war hier jedoch nicht erforderlich. Seit der Inbetriebnahme nutzt der Kunde das System erfolgreich für Predictive-Maintenance-Aufgaben, z.B. die bedarfsgerechte Planung von Instandhaltungsmaßnahmen und die Ersatzteilbeschaffung.“

Im CMS lässt sich über Analog-Eingangsklemmen vom Typ EL3114 auf
Primär- und Sekundärschaden schließen. – Bild: Beckhoff Automation GmbH & Co. KG

Leistungsfähiger Industrie-PC

Auf einem Embedded-PC CX5140 mit der Software Twincat (Twincat 3 PLC und Twincat 3 Modbus TCP) werden die Daten zentral erfasst und verarbeitet sowie die vorgegebenen Alarmgrenzen überwacht. Warnungen und Alarmmeldungen sowie die Detektion fehlerhafter Sensoren können über den CX5140 automatisch via E-Mail übermittelt werden. Um Trends verfolgen zu können, lassen sich statistische Werte der Messdaten (Intervalldaten) permanent speichern und per Modbus an das kundeneigene Überwachungssystem übertragen. Beim Überschreiten von Alarmgrenzen werden zudem temporär die Rohsignale gespeichert, um diese zur späteren Fehleranalyse zu nutzen. Dr. Marcus Ries ergänzt: „Die Festlegung von Grenzwerten für Schwingungen und Temperaturen ist durchaus komplex, da diese sich von Werkstück zu Werkstück auch im Gut-Zustand unterscheiden. Mit der Integration von Maschinensteuerung und Messtechnik in einem System, ist dem CMS aber immer bekannt, welches Werkstück gerade bearbeitet wird. Somit lassen sich die Grenzwerte genau auf das jeweilige Werkstück bezogen festlegen. Der IPC bietet zudem ausreichend Rechenleistung für umfangreiche Condition-Monitoring-Anwendungen und ermöglicht als hutschienenmontierbares Gerät mit direkt anreihbaren Ethercat-Klemmen kompakte CMS-Lösungen.“

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