Zehn Jahre Industrie 4.0: Erfolgs- oder Auslaufmodell?

Von der Überwachung der Lieferkette über die intelligente Verwaltung von Lagerbeständen bis hin zur Inbetriebnahme und Wartung des Anlagenbetriebs – vielerorts treiben digitale Technologien heute die industrielle Produktion voran. Dennoch ist die vierte industrielle Revolution, wie sie einst verkündet wurde, bislang ausgeblieben. Das liege, so Proalpha, vor allem am bisher noch mangelhaften geschäftlichen Durchbruch beim Vertrieb digitaler Lösungen im industriellen Umfeld.
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De facto lag der Schwerpunkt der Digitalisierung in Europa, und damit auch in Deutschland, in den vergangenen Jahren zu sehr in den Fabriken, während das Marktpotential der Industrie 4.0 in den Hintergrund geraten ist. Ein systemimmanentes Problem, das sicherlich auch daran Anteil hat, dass heute nach zehn Jahren keine nennenswerten Fortschritte bei Produktivität und Profitabilität wahrnehmbar seien. Das heutige Produktionsniveau sei auf dem Stand des Jahres 2011 [1]. Obwohl vielfältig in Software und Co. investiert wurde, stellen Studien [2] sogar einen negativen Produktionseffekt fest.

Herausforderungen für die Industrie

Diese Bilanz sei besonders auch deswegen alarmierend, da Unternehmen aus der Industrie längst weiter sein sollten, um sich für die neuen Herausforderungen der Zukunft zu wappnen. Während es in der Vergangenheit darum ging, die industrielle Produktion mit Informations- und Kommunikationstechnologien zu verzahnen, müssen sich Unternehmen aus der Produktion mehr denn je für die auch im B2B-Bereich anbahnende Plattformökonomie aufstellen. Unternehmensentscheider sollten heutzutage digitale Plattformen, Mehrwertdienste und Geschäftsmodelle in ihre strategischen Überlegungen mit einbeziehen – insbesondere wenn man bedenke, dass Cloud-Anbieter wie Amazon Web Services, Microsoft und Google den Aufbau von Industrie-Plattformen forcieren.

Eine McKinsey-Studie [3] hat explizit für den Maschinen- und Anlagenbau den aktuellen Stand in der Plattformökonomie untersucht und offen gelegt, dass die Mehrheit der Maschinen- und Anlagenbauer davon ausgeht, die Bedürfnisse ihrer Kunden hinsichtlich digitaler Plattformen zu kennen und zu erfüllen. Dennoch haben erst rund die Hälfte der analysierten Unternehmen Erfahrungen mit der Entwicklung von Mehrwertdiensten gesammelt – und noch weniger mit Entwicklungen rund um digitale Plattformen. Ein Großteil der Unternehmen nutze zwar immerhin digitale Angebote, um sich die Wettbewerbsfähigkeit zu sichern, allerdings ohne zu monetarisieren. Zudem biete nur knapp die Hälfte digitale Lösungen an, die eng mit dem Produktportfolio zusammenhängen und auch verkauft werden. Produktunabhängige digitale Lösungen und Betreibermodelle wie ‚Pay per Use‘ nehmen hingegen jetzt als auch zukünftig einen nachrangigen Platz ein. Neben dem Fehlen von Geschäftsmodellen und Standards haben Maschinen- und Anlagenbauer die strategische Relevanz digitaler Plattformen und Mehrwertdienste lange unterschätzt.

Wie kann diese Problematik zeitnah adressiert werden? Welchen Ansätzen sollte insbesondere der Maschinen- und Anlagenbau folgen?

Anforderungen an digitale Plattformen und Mehrwertdienste

Besonders im Maschinen- und Anlagenbau sei es nun wichtig, dass die Unternehmen ein klares Verständnis für die unterschiedlichen Bedürfnisse, Erwartungen und Prioritäten ihrer jeweiligen Endkundenindustrien entwickeln.

Ein Blick auf die McKinsey-Studie zeige, dass sich Endkunden offene, leicht integrierbare Plattformen wünschen, bei denen klare Industriestandards bzw. Schnittstellen wie z.B. Open Platform Communications Unified Architecture (OPC UA) genutzt werden. Großes Augenmerkmal sollten Unternehmen auf die Verfügbarkeit von Echtzeitdaten, Performance und Sicherheitsstandards legen. Auch ein offener Zugang und hohe Kompatibilität sind für Endkunden wichtige Faktoren, um Plattformen in bereits bestehende digitale Ökosysteme integrieren zu können. Mittlere Priorität haben hingegen Kriterien wie Kundenfreundlichkeit, Skalierbarkeit sowie ein unmittelbarer Return on Investment (ROI). Aus Endkundensicht sind digitale Plattformen primär ein ‚Enabler‘ für (Analytics-)Applikationen sowie Mehrwertdienste und bieten für sich allein genommen noch keinen messbaren Mehrwert im operativen Betrieb.

Bei Mehrwertdiensten sollte stets der Nutzen im Vordergrund stehen. Denn Endkunden erwarten neben Kosteneffizienz und Benutzerfreundlichkeit vor allem, dass sich durch die angebotenen Dienste Verbesserungen klar quantifizieren lassen. Auswirkungen auf finanzielle Kennzahlen und Erfolgsfaktoren wie Wartungs- und Instandhaltungskosten sowie die Lösung von Problemen seien essenziell, damit Endkunden einen Mehrwert erkennen und bereit sind, in die Dienste zu investieren. Insbesondere Remote Monitoring, globales Remote Service oder Remote-Inbetriebnahmen bieten hier große Chancen, wie die McKinsey-Studie anmerkt.

Wie Maschinen- und Anlagenbauer weiteres Geschäft generieren können
Wie Maschinen- und Anlagenbauer weiteres Geschäft generieren könnenBild: Proalpha Business Solutions GmbH

Lösungen und Handlungsempfehlungen

Es gilt nun, den Rückstand in der Digitalisierung aufzuholen und den Bedürfnissen der Endkunden gerecht zu werden. Damit das gelingen könne, müssen sich Unternehmen nicht nur mit Digitalisierungsinitiativen in der Fabrikhalle oder im Büronetzwerk auseinandersetzen, sondern sich auch intensiv mit digitalen Geschäftsoptionen und werttreibenden Services beschäftigen.

Hierzu gehöre neben der Identifizierung von neuen digitalen Mehrwertdiensten, die das Unternehmen anbieten bzw. monetarisieren kann, auch die Entwicklung von Lösungen, die das eigene Produkt- und Serviceportfolio plattformkompatibel machen. Es müssen außerdem Konzepte und Pläne zur Verbesserung und Digitalisierung der Wertschöpfungsketten in der Smart Factory auf den Tisch – mit einem Fokus darauf, welche Produkte und Services das Unternehmen digitalisieren und zur Marktreife bringen kann.

Ein Beispiel: Ein Maschinenanlagenbauer kann über digitale Mehrwertdienste einerseits den Ressourceneinsatz beim Kunden verbessern sowie auch weiteren gewinnbringenden Output generieren – z.B. indem er eine Vergütung nach Gutstückfertigung (ein klassisches Product-as-a-Service-Modell) oder nach Kubikmeter Druckluft einführt. Neben einem flexiblen und kundennahen Verkaufs- und Nutzungsmodell für den Endkunden profitiert der Maschinenanlagenbauer außerdem von einem besseren und zielgerichteteren After-Sales.

Bei Mehrwertdiensten sei die Auseinandersetzung mit Kundenbedürfnissen, aber auch mit der eigenen Herangehensweise zwingend. Entscheider sollten vor allem ihre eigenen Stärken im Vergleich zu anderen Anbietern reflektieren und sich bei der Entwicklung des eigenen Geschäftsmodells auf den Mehrwert des Services für den Endkunden fokussieren. Netflix und Amazon haben es im Consumer-Bereich vorgemacht, jetzt sei die B2B-Industrie an der Reihe.

Ein dreistufiger Ansatz diene hierbei für Unternehmensentscheider als wegweisend:

  1. Das Marktsegment definieren: Den Markt nach anwendungsspezifischen Charakteristika wie der Unternehmensgröße der Kunden, IT-Affinität, digitalem Reifegrad der Kunden sowie deren Prozess-Knowhow segmentieren.
  2. Den Mehrwert für den Kunden aufzeigen: Der Segmentierung folgt eine ausführliche Betrachtung und Definition des Mehrwerts aus Kundensicht.
  3. Das eigene Geschäftsmodell festlegen: Zuletzt muss das bestmögliche Geschäftsmodell zielgruppenspezifisch festgelegt werden, dessen Alleinstellungsmerkmal gegenüber Wettbewerbern klar definiert und der technologische Vorsprung sowie die Risiken des neuen Geschäftsmodells umfassend bewertet werden.

Entscheidend bei der Entwicklung einer übergreifenden Digitalstrategie sei allerdings auch die Basics, also, dass das IT- und organisationsspezifische Fundament auf einem soliden Stand ist. Egal ob IT-, ERP-, MES-, Finanzbuchhaltungs- oder Planungs-Systeme – sie alle müssen in einen ordentlichen Zustand gebracht werden, also möglichst aktualisiert sein. Hierzu bietet Proalpha breit aufgestellte ERP+ Lösungen an. So sollen Unternehmen die Prozesse in der eigenen Organisation verbessern und auch entsprechend an den Daten arbeiten arbeiten können – sie auch für die eigenen Geschäfte verwertbar machen können.

Fazit: Die digitale Transformation fängt bei Entscheidern an

Die digitale Transformation der Industrie müsse, so Proalpha, mittels überzeugender Geschäftsmodelle weiter vorangetrieben werden. Entscheidend sei nicht mehr nur, wer Maschinen und Anlagen mit der größtmöglichen technischen Finesse bauen und seine Automatisierungsprozesse in der Fabrikhalle verbessern kann. Unternehmen sollten sich so positionieren, dass sie über ihre Produkte und Services einen größtmöglichen Mehrwert für Kunden generieren und somit monetarisieren können. Dieser Wandel müsse von oben, also der Unternehmensspitze – forciert werden. Dazu zähle, dass einerseits Geschäftsmöglichkeiten durch zusätzliche produktbezogene Services über den gesamten Lebenszyklus generiert werden. Andererseits sollte durch ein Service-Angebot, das auf Kundenbedürfnisse zugeschnitten ist, ein tatsächlicher Nutzen und damit eine positive Customer Experience geschaffen und dadurch die Kundenbindung verbessert werden. Denn nur wer die strategische Relevanz digitaler Mehrwertdienste erkenne und adressiere, werde in Zukunft seine Position halten und von der eigenen Prozessnähe sowie dem tiefen Anlagen-Knowhow profitieren können. Wer jetzt starte und sich für das kommende digitale Zeitalter der Industrie rüste, habe gute Chancen, auch in Zukunft wettbewerbsfähig zu bleiben – auch im globalen Rennen um Marktanteile.

[1] Quellen: LIN Institut für Lernen und Innovation in Netzwerken, ISI Fraunhofer Institut für System und Innovationsforschung, ZEW Europäische Wirtschaftsforschung

[2] https://impuls-stiftung.de/wp-content/uploads/2022/05/Produktivitaetsparadoxon-im-Maschinenbau.pdf

[3] https://www.mckinsey.com/de/~/media/McKinsey/Locations/Europe%20and%20Middle%20East/Deutschland/News/Presse/2020/2020-09-18%20Maschinenbau/VDMA_McKinsey_Broschre_Digitale%20Plattformen_DEUTSCH.pdf

[4] https://www.proalpha.com/de

proALPHA Business Solutions GmbH

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