IIoT-Funktionalität nachrüsten

Mit Retrofit zur Smart Factory

Inmitten der sich verschärfenden Wirtschaftskrise wenden sich immer mehr Industrieunternehmen dem Industrial Internet of Things (IIoT) zu, um ihre Anlagen aus der Ferne zu überwachen und ungeplante Ausfallzeiten zu verhindern. Ein wichtiger Aspekt ist dabei die Nachrüstung alter Anlagen.
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Produktionsunternehmen investieren dabei in kundenspezifische Systeme und Systeme von Drittanbietern, um die Produktion zu erhöhen, die Gesamteffizienz der Anlagen zu messen, Maschinenstillstandszeiten zu vermeiden und die Anlagen ferngesteuert zu kontrollieren. In diesem Artikel stehen Ansätze im Fokus, wie Unternehmen Daten auf der Basis eines IIoT erheben und verwerten können, ohne beträchtliche Vorabinvestitionen leisten zu müssen.

Was Industrie 4.0 ausbremst

Eine häufige Methode zur Implementierung von IoT-Lösungen in industriellen Umgebungen ist die Erweiterung von Fertigungsanlagen mit Werkzeugen zur Datenerfassung, Analyse und Visualisierung. Dazu gehören Sensoren, IoT-Gateways, Mensch-Maschine-Schnittstellen (HMIs) und Cloud-basierte Analysewerkzeuge, die Rohdaten von Geräten in verwertbare Erkenntnisse verwandeln. Diese Aufgabe erschweren eine Reihe von Faktoren:

  • Altgeräte, die in der Regel eine Lebensdauer von 30 bis 60 Jahren haben, unterstützen datengesteuerte Werkzeuge nicht und bieten wenige Konnektivitätsoptionen.
  • Ein großer Teil der Maschinen, die heute eingesetzt werden, hat die Abschreibungsgrenzen noch nicht erreicht. Die Anschaffung neuer Geräte mit eingebauten IIoT-Fähigkeiten ist daher wirtschaftlich unvernünftig.
  • Vielen Unternehmen fehlen die Fähigkeiten und das Fachwissen, um IIoT-Lösungen zu entwickeln und zu betreiben.
  • Unter den Herstellern herrscht ein allgemeines Misstrauen gegenüber Technologien außerhalb des traditionellen Scada-Werkzeugkastens (Supervisory Control and Data Acquisition).
  • 70 Prozent der IoT-Projekte bleiben Pilotvorhaben. Initiativen aus dem Umfeld der Industrie 4.0 wie Smart Factories können nur von 15 Prozent der Führungskräfte in großem Maßstab implementiert werden. Das Ersetzen kostspieliger Geräte zur Validierung eines IIoT-Konzepts und zur Erstellung eines Business Use Case ist unpraktisch.

Altgeräte als Datenquelle erschließen

Alte Maschinen- und Anlagen mit IIoT-Funktionalität auszustatten, ist vor diesem Hintergrund der naheliegende Schritt. Unter Nachrüstung versteht man das Hinzufügen von Sensoren, Konnektivität und zusätzlichen Hardware- und Softwarekomponenten zu bestehenden Geräten. Die cloudbasierte Sensordatenanalyse hilft Unternehmen unter anderem dabei, missbräuchliche Gerätenutzung zu vermeiden, Maschinenausfälle vorherzusagen und Abfall zu reduzieren. Die Hersteller von Kunststoffformteilen können zum Beispiel Wassertemperatur- und Bewegungssensoren für Aluminium- oder Stahlgussformen installieren. Die Sensorvorrichtungen erkennen automatisch falsch ausgerichtete Formen und überwachen die Kühlung der Geräte. Die Daten werden von IoT-Gateways abgefangen und abgesichert in die Cloud übertragen. Auf der Grundlage dieser Informationen können die Bediener von Spritzgießmaschinen Kunststoffabfälle und Überspritzungen reduzieren und Schäden an Gussform und Holmen verhindern.

Gängige Retrofit-Komponenten

Um die Leistungsdaten der Ausrüstung zu erfassen, zu verarbeiten und darauf zu reagieren, stützt sich das Nachrüsten auf Industrie 4.0 auf mehrere funktionale Komponenten:

Sensoren: Batteriebetriebene Sensorvorrichtungen messen Leistungskennzahlen und Betriebsbedingungen der Ausrüstung. Gerätesensoren senden die Daten an IoT-Gateway-Geräte, die energieeffiziente drahtlose Verbindungstechnologien verwenden: Bluetooth/BLE, Zigbee, Z-Wave und so weiter. Zu den gängigsten Arten von Industriesensoren gehören Spannungs-, Temperatur-, Vibrations-, Druck-, Feuchtigkeits- und Schallpegelsensoren.

IoT-Gateways: Gateway-Geräte erfassen die von industriellen Sensoren gesendeten Daten und leiten sie über Zellular- oder Wi-Fi-Netzwerktechnologien an lokale oder Cloud-Server weiter. In Fällen, in denen die Datenlatenz (das heißt die Zeit zwischen dem Senden einer Anfrage an die Cloud durch das Gateway-Gerät und dem Empfang einer Antwort) kritisch wird, kann die Sensordatenverarbeitung teilweise von der Serverseite auf das intelligente Gateway-Gerät verlagert werden. So kann die Netzwerkauslastung reduziert und Datenmanipulationen erschwert werden.

Datenspeicherung und Analyselösungen: Zum Aufbau einer Datenanalyse-Infrastruktur können sich Fertigungsunternehmen für eine IIoT-Plattform wie PTC ThingWorx entscheiden oder eine kundenspezifische Lösung auf der Basis von AWS, Microsoft Azure oder Google Cloud erstellen. End-to-End-IIoT-Plattformen bieten vorkonfigurierte Module für Datenspeicherung, Analyse und Visualisierung, die nur wenig Programmieraufwand erfordern. Auf der anderen Seite ermöglicht der benutzerdefinierte Ansatz es Unternehmen, Cloud-Anwendungen zu erstellen, die auf ihre Bedürfnisse zugeschnitten sind und mit ihrem Geschäft mitwachsen.

Daten-Visualisierung: IIoT-Tools zur Datenvisualisierung können von mobilen Anwendungen bis hin zu dynamischen Dashboards und Echtzeit-Geräteschnittstellen reichen. Neben der Anzeige von Gerätezustands- und Leistungsdaten können diese Tools auch die von externen Anwendungen abgerufenen Informationen visualisieren. Zu letzteren gehören Fertigungsausführungssysteme (MES), Qualitätsmanagementsoftware (QMS) und Enterprise Resource Planning (ERP)-Lösungen.

Global sind 85 Prozent der Bestände und Maschinen der Fabriken noch nicht an das Internet angeschlossen.
Global sind 85 Prozent der Bestände und Maschinen der Fabriken noch nicht an das Internet angeschlossen.Bild: ©dusanpetkovic1/stock.adobe.com

Maschinen zum Sprechen bringen

Die Maschinenintegration ist nicht erst im Industrie 4.0-Zeitalter eine Herausforderung. Dabei stehen den Anwendern heute im Wesentlichen drei Optionen zur Verfügung, um stumme Maschinen zum Sprechen zu bewegen:

Upgrade für Originalgerätehersteller (OEM): Der einfachste Weg, Altgeräten Datenerfassungs-, Verarbeitungs- und Visualisierungsfunktionen hinzuzufügen, ist die Verwendung eines IIoT-Kits, das von einem Original Equipment Manufacturer (OEM) entwickelt wurde, solange der Anbieter noch ähnliche Geräte produziert und unterstützt. Zu den OEM, die Industrieunternehmen bei der preiswerten Innovation unterstützen, gehören Bosch, SKF und Festo.

Nachrüstsätze von Drittanbietern: Wenn der Originalhersteller keinen Anreiz hat, Altgeräte aufzurüsten, kann ein Unternehmen eine Partnerschaft mit einem Technologieunternehmen eingehen, das die erforderlichen Hardwarekomponenten neben einer Software-as-a-Service-(SaaS)-Anwendung für die Sensordatenverwaltung anbietet. Beispiele für Retrofit-IIoT-Lösungen sind das Bosch Cross Domain Development Kit (XDK), von Harting entwickelte digitale Retrofit-Kits und die von Krammer Technology entwickelte Datenanalyseplattform für Spritzgießanlagen.

Kundenspezifische IIoT-Lösungen: Einige Unternehmen beauftragen Technologieunternehmen, die Dienstleistungen im Bereich der Industrieautomation anbieten, kundenspezifische IIoT-Lösungen für ihre Produktionslinien zu entwickeln.

Mehr als Integration im Angebot

Falls ein Dienstleister in das IIoT-Vorhaben eingebunden ist, umfasst das Angebot in der Regel mehr als die Anbindung der Maschinen und Anlagen. Die digitale Überholung beginnt oft mit einer Geschäftsanalyse. Dieser Ansatz soll den Herstellern helfen, jene Anlagen zu identifizieren, die ihre Produktion erheblich beeinträchtigen können, wenn sie ausfallen oder unvorhergesehene Ausfallzeiten verursachen. Darüber hinaus muss bestimmt werden, welche Art von Daten die Betriebseffizienz einer Fabrik steigern könnten, und es muss der vielversprechendste Weg zur Datenerfassung gefunden werden. In der nächsten Phase können spezifische Sensorvorrichtungen sowie Analog-Digital-Wandler entwickelt und erstellt werden. Auch Low-Level-Software, etwa mit Bare-Metal-Firmware wird programmiert, damit Sensoren Daten an ein IoT-Gateway senden können. Um Muster in den Sensordaten zu erkennen, trainieren die Entwickler darauf Algorithmen für maschinelles Lernen und setzen diese in der Cloud ein. Ein Fertigungsunternehmen kann auch das neu aufgebaute System mit der bestehenden Unternehmenssoftware auf API-Ebene integrieren, um die Wartungsarbeiten zu optimieren.

Balance zwischen Kosten und Funktion

Auch nach der Pandemie werden Unternehmen nach Lösungen suchen, die Kosten für die Wartung von Anlagen senken und Anlagen aus der Ferne betreiben helfen. Studien deuten darauf hin, dass der globale industrielle IoT-Gateway-Markt bis 2021 1,39 Milliarden US-Dollar übersteigen wird, während der Markt für industrielle Sensoren in sechs Jahren auf 1,34 Milliarden US-Dollar anwachsen könnte. Nachrüstsätze, drahtlose Sensoren und Cloud-Dienste, die wenig Anpassung erfordern, erleichtern den Einstieg in das industrielle Internet der Dinge. Bei der Planung eines Industrie-4.0-Projektes sollten produzierende Unternehmen jedoch mit den Geschäftszielen beginnen und die für den Fabrikbetrieb kritischen Geräte identifizieren.

www.softeq.com

Adaption des englischen Originals von Anja Mutschler.

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